Innovationsmanagement

Mehr als ein Trend: Wie man Design Thinking richtig einsetzt

Räumliche Verbindungen zeigen symbolisch Design Thinking

Design Thinking ist in aller Munde. Manche Unternehmen beschäftigen  Mitarbeiter oder ganze Abteilungen, welche sich ausschließlich um die Anwendung dieser Arbeitsweise kümmern. Durch die breite Auseinandersetzung mit diesem Thema lässt die Kritik natürlich nicht lange auf sich warten. Wird Design Thinking, wie oft in sehr beschnittenem Umfang und Verständnis, ohne Designausbildung betrieben kann dies tatsächlich zu sehr beschränkten Ergebnissen führen, die nichts mit Innovation zu tun haben — im besten Fall mit inkrementellen Verbesserungen. Design Thinking ist eine Methode, ein Framework aber auch eine Geisteshaltung, die man auf vielerlei Gebiete und Projekte übertragen kann. Es besteht nicht nur aus ein paar Kundenbefragungen und Brainstorming mit Post-its.

Ich gehe nachfolgend auf die meiner Meinung nach angemessene Kritik ein, welche aber ein sehr enges Verständnis von Design Thinking aufweist.

Design Thinking in der Kritik

Natürlich haben alle Methodiken und Frameworks Ihre Vor- und Nachteile und es ist auch nicht immer sinnvoll alle Werkzeuge für jede Situation und Aufgabenstellung zu nutzen.
Aber man sollte sich mit Design Thinking richtig beschäftigen — denn hier geht es um Design und Thinking. Beim Denken und Betrachten sollte man sich in die Metaebene begeben, um die abstrakten Prinzipien des jeweiligen Themas zu verstehen.

Aber was ist denn eigentlich nun Design Thinking? Einfach gesagt, denken wie ein Designer denkt (es müsste eigentlich „Designer’s Thinking“ heißen). Interessanterweise gibt es auch viele Designer, die mit diesem Begriff nichts anfangen können. Meistens hat das damit zu tun, dass man als gut ausgebildeter Designer die Denkweise und Methoden sowieso anwendet — nur verpackt man es nicht in eine schöne Worthülle.
Geschichtlich betrachtet, proklamiert die Agentur IDEO  die Erfindung von Design Thinking als Framework, Methodenbaukasten und Prozess. Dieser Begriff wurde in den 90ern geprägt. Erstaunlicherweise hat es 20 Jahre gedauert, bis sich er verbreitet hat. Gefühlt war der Vorläufer für diese Bewegung das User-Experience Design, doch auch dies ist erst in den letzten Jahren massentauglich geworden. Aus den Anfängen des Webs kennt man auch noch Usability Research und Human Centred Design; alles Begriffe die zu Beginn des Webzeitalters auch stark von Jackob Nielson und Dan Normann geprägt wurden. Mit der Zeit wurden vielen (Software)-Firmen klar, dass nicht die Technik im Vordergrund steht, sondern dass sie nur als Hilfsmittel für den Menschen dient, der sie benutzt. Diese Bewegung wurde also durch die Herangehensweise für Web-Projekte initiiert.
Design Thinking und Human Centered Design beschägtigen sich also mit der ganzheitlich betrachteten Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen, ist also nicht nur auf IT bezogen.

Um wieder auf den Prozess zurückzukommen. Design Thinking besteht meist aus den Phasen „Understand (Verstehen)“, „Research (Recherche und Forschung)“, „Ideation & Conceptialize“ (Ideengenerierung & Konzipieren), „Prototyping/Experimenting/Validating“ (Expermimentieren und Testen mit Prototypen) und „Implement“ (implementieren/realisieren). So zumindest sind die häufig propagierten Phasen. Es kann auch mehr oder weniger Entwicklungsstufen geben.

Dies lässt sich natürlich exzellent verkaufen. In kurzen Seminaren und Weiterbildungen wird am Ende die Expertise mit einem Zertifikat bescheinigt. Genau strukturiert, linear, perfekt eingetütet – und so wunderbar verkaufbar. Viele Innovationsmanager, Produktenwickler, Business Developer oder Menschen mit ähnlichen Jobtiteln, saßen inzwischen schon in ein- oder mehrtägigen Seminaren zu Design Thinking. Ich möchte diese Ausbildungen nicht schmälern, schaffen Sie doch eine grundsätzliche Sensibilisierung, die notwendig ist, um neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle auch endlich mal aus Kundensicht zu entwickeln und sich an den Bedürfnissen von Kunden und Mitarbeitern (ja, auch die sind wichtig!) zu orientieren und auch prototypenbasiert sich an erfolgreiche Endergebnisse heranzutasten.

Doch genau mit diesem korsetthaften „Eintüten“ von Design Thinking, um daraus etwas Verkaufbares zu machen und um als Buzzword zu fungieren wird ein sehr eindimensionales Verständnis geschaffen. Und darauf stützt sich meist die Kritik.

Bei Design Thinking Workshop werden Ideen erarbeitet.

Design Thinking ist kollaborativ und innovativ

In dem Artikel Design Thinking Is Fundamentally Conservative and Preserves the Status Quo der Harvard Business Review stellt der Autor heraus, dass Design Thinking nur das Bestehende bewahrt und die Resultate rein vom federführenden Designer oder Prozessleiter abhängen, also man davon nicht so viel Innovatives erwarten kann. Vor allem die im Design Thinking „Ideation“, „Conceptualization“ oder schlicht „Entwerfen“ genannte Phase wird als Bastion der Designer beschrieben, die das „Problemlösen“ für sich beanspruchen. Und dieses Problemlösen wäre chaotisch und geprägt von Agendas und zur Verfügung stehenden Ressourcen. Der Prozess sei „…stark beeinflusst von sozialen und ökonomischen Strukturen.“ — vor allem also den herrschenden umgebenden Strukturen eines Projekts, wie Hierarchie und Personen.

Hier wird genau dieser strikte lineare Prozess, den man in einem 2-tages Seminar vermittelt bekommt, bemängelt. Die Bedürfnisse und das Verständnis der Kunden obliegt dem Designer, durch dessen Wahrnehmung alles gefiltert wird. Und natürlich ist Wahrnehmung etwas höchst subjektives, beeinflusst durch viele Faktoren, wie Erfahrung, Charakter, persönliche Ziele etc. Der Designer schafft aus der Vielzahl an Möglichkeiten eine elegante, strukturierte Lösung. Sein Beitrag zur Lösung lässt sich schwer bemessen und deshalb müsse er seine Designentscheidungen nicht erklären.

Die zwei primären Kritikpunkte, die Ideation (Ideengenerierungsphase) ist nur konventionelle Problemlösung mit einfachem gesundem Menschenverstand und der Designer als bestimmender Macher und Regisseur zeugen vom eindimensionalen, strikt linearen Vorgehen.

Wenn man nun schaut, wie man Ideation als Designer betreibt, dann sollte dies im besten Fall mit einer oder mehreren Kreativitätstechniken geschehen, bewusst oder unbewusst — oder auch beides (man sollte mit der Zeit einfach wissen, wie und wo man auf die besten Ideen kommt). Einfach nur im Team zu diskutieren, Brainstorming zu betreiben oder einfach darüber nachdenken bringt meist keine guten Ideen und Lösungen hervor. Es gibt eine Vielzahl von Kreativitätstechniken, z.B. die Analogien-Methode, De Bono, Assoziationstechnik, Fiction-Writing u.v.m. Auch Lego® Serious Play® eignet sich hervorragend als Teammethode, um zu verstehen aber auch um neue Ideen zu entwickeln. Wohlgemerkt sollten immer mehrere Methoden zum Einsatz kommen, um eine große Bandbreite von Lösungen zu generieren.

Interessanterweise sind viele dieser Kreativitätstechniken als Team-Methoden ausgelegt. Meiner Ansicht nach ist ein Designer, ob „offiziell“ in einem Design Thinking Prozess oder eben in Selbstverständlichkeit als „Thinking Designer“  mehr Katalysator und Coach, statt Feldherr. Die Mitarbeiter und Kunden haben das Wissen und können Schlüsse ziehen und der Designer unterstützt dabei. Er kann dabei Teil des Teams sein und genau so Input geben, sollte dies aber zeitlich nie parallel tun, also beide Rollen vermischen.

Geeignet ist also ein Vorgehen, das alle Projektteammitglieder oder auch einen erweiterten Personenkreis involviert, jeden zur Ideengeneration animiert und strukturiert die Ideen sammelt. Das ist in meinem Augen Design Thinking, wie man es als Designer umsetzt. Design sollte immer kollaborativ sein — und kreativ. Dies nicht aus einem idealistischen Blinkwinkel, sondern weil es auch real nutzt, denn die Ergebnisse sind sehr viel innovativer.

Design Thinking ist ist linear und nicht innovativ

In einer dem Artikel mit dem Click-Bait-verdächtigen Titel Design Thinking Is B.S., von Natasha Jen, werden weitere Kritikpunkte vorgebracht: Design Thinking folgt starr einer linearen Methode und lebt vor allem von der Verwendung von Post-Its.

Lineares Denken und eine lineare Methode geben scheinbar Sicherheit, eliminieren aber andere Lösungsmöglichkeiten. Sie sind ein geistiges Gefängnis lautet der Vorwurf.

Diese Aussage kann ich nur bestätigen. Design Thinking wird oft als gradliniger Prozess beschrieben, der sich bei der Recherche auf Benutzerbefragungen und im besten Fall noch auf Beobachtungen stützt. Das erschwert es das Gesamtbild zu sehen. Dabei sollten man beispielsweise auch immer in die Research-Phase zurückspringen können, wenn sich im Prototyping Nachholbedarf ergeben hat. Das gilt auch für alle andere Phasen.

Außerdem fängt Ideengenerierung beim Erforschen an, dem Sammeln von Ideen und Lösungen („Explore“). In der Designausbildung sollte man lernen, dass am Anfang eines jeden Projekts die Recherche steht. Ich finde den englischen Begriff „Research“ eigentlich viel besser, denn er beinhaltet auch das „Forschen“.  Wir er-forschen das Thema und den Ideenraum (die Möglichkeit an Lösungen und Ideen). Die Kritik ist in soweit richtig, dass oft nur geschaut wird, welche Bedürfnisse der Kunde/ein Mensch hat. Leider ist es auch unter vielen Designern üblich geworden, dass die Recherche sich auf das Sammeln von „Inspiration“ beschränkt, meist aus demselben Sujet, was zu immer gleichen eintönigen Produkten führt.

Menschen mit Haftnotizen an der Wand, das ist kein Design ThinkingDesign Thinking arbeitet nicht nur mit Post-its

Die weitere Kritik lautet, das Hauptwerkzeug seien beim Design Thinking Post-its in Verbindung mit Brainstorming. Und tatsächlich sehe ich in vielen Design Thinking Umgebungen viele Whiteboards/Pinwände mit Post-its. Und Brainstorming ist für viele Firmen und Menschen immer noch das Mittel der Wahl, um gemeinsam im Team Ideen zu generieren — nicht nur in Desing Thinking Projekten. Hier gebe ich der Kritik recht. Wie im vorigen Abschnitt schon erwähnt, fischt Brainstorming nur bestehende Ideen ab, die oberflächlich in unseren Köpfen kreisen. Brainstorming wird immer noch viel betrieben — das stimmt — und leider propagiert sogar IDEO Brainstorming als brauchbares Tool.

Ein weiterer Punkt, der unterschwellig mitschwingt ist, dass auf Post-its meist Worte geschrieben werden. Wenn man bei Design Thinking sich wirklich an Designmethoden orientiert, dann sollten alle Notizen einen visuellen Anteil aufweisen, also durch eine kleine Zeichnung oder ein Symbol unterstützt werden. Und Zusammenhänge kann man als Diagramm oder Bild verständlicher darstellen.

Weiterhin hilft es Szenarien und Use-Cases auch als Geschichten zu erzählen. Storytelling ist und war in aller Munde und Geschichten ‚rüberzubringen funktioniert auch heute noch und ist als Design Methode geeignet. Füttern kann man diese Geschichten mit Rollenspielen, Experience Maps und Costumer Journeys. Als Protagonisten passen perfekt die Personas, die man erstellt hat.

Zwei Männer sprechen sitzend über das Eck eines Tischs für ein KundeninterviewDie Kunden und Mitarbeiter einbeziehen ist wichtig, aber nicht alles

Man liest oder hört es oft. Empathie wird mit der „Research“-Phase gleichgesetzt: ich verbinde mich mit dem Denken, Fühlen und Handeln des Users und somit bestimmt der User das Design und die Richtung. Diese Arbeitsweise wird kritisiert. Als Lösung wird die „Wiedereinsetzung“ des Designers als Hauptperson gefordert, der dafür aber seine Komfortzone verlässt und sich mit ihm unbekannten neuen Themen beschäftigt.

Ich bin der Meinung, dass beides wichtig ist. Zu einer guten „Research“ gehört es in die Welt des Kunden und auch der Mitarbeiter eines Unternehmen einzutauchen, um diese Menschen zu verstehen.
Zusätzlich ist es wichtig, dass man möglichst breit recherchiert und in den Markt, in die Welt schaut, um möglichst viele Möglichkeiten zur Lösung der Aufgabenstellung aufzuspüren — und um diese auch besser zu verstehen.

Das einem im Rahmen eines Projekts nicht unendlich Zeit zur Verfügung steht, ist klar. Aber über den Tellerrand schauen, lohnt sich allemal. Man kommt auf Lösungen, die sonst nicht möglich sind.

Hier kommt eine Eigenschaft eines guten Designers zum Tragen: ein Designer ist immer auch ein Forscher. Schon Leonardo Da Vinci hatte immer ein Notizbuch dabei, eine Angewohnheit, die man als Designer auch pflegen sollte. Leonardo zeichnete Dinge, um sie zu verstehen und um Ihre Eigenschaften zu sammeln. Man sollte die Welt sehen und Dinge aufzeichnen, aufschreiben, fotografieren oder physisch sammeln. Es kommt immer die Gelegenheit, dass man Eigenschaften eines „Forschungsobjekts“ wieder in einem anderen Zusammenhang übertragen und verwenden kann.

Design Thinking ist nur was für die Ideengenerierung (Ideation)

Diese Ansicht hatte ich neulich von einem Leiter der Digitalisierung gehört, Design Thinking eignet sich (nur) für die Ideation-Phase. Die Ideation-Phase ist sicher ein Teil von Design Thinking, aber nicht alles. Design Thinking kann alles umfassen, von den ersten Ideen im Kopf bis zur Realisierung — und diese auch begleiten. Sicherlich kommen dann hier noch andere Frameworks zum Einsatz, wie Scrum, Kanban oder andere agile Ansätze. Aber die Denk- und Handelsweise immer im Prototypen und Testmodus zu bleiben zahlt sich aus, um immer schnell reagieren zu können. Ein Prototyp kann auch schon ein fertiges erscheinendes Produkt sein — für den Kunden. Nicht zuletzt gilt bei „Lean StartUp“, dass auch bei etablierten Firmen eingesetzt werden kann (und wird!): „Build“, „Measure“, „Learn“. Denn warum sollte für Unternehmen nicht die gleiche Prämisse gelten, wie bei Menschen: „Man lernt nie aus.“

Ist Design Thinking nun kollaborativ und demokratisch?

Die erste Kritik war ja, das Design Thinking nicht demokratisch ist. In dem anderen Artikel „Design Thinking is B.S.“ wird dagegen bemängelt, dass Design Thinking eben Kunden, User und Mitarbeiter — also Nicht-Designer — in das Design miteinbezieht.
Meinem Verständnis nach, sollte  Design Thinking beides einbeziehen, die Kunden/Menschen aber auch die Expertise des Designers, der zu dem Thema umfassend auch in anderen Wissensgebieten recherchiert. In den ersten Phasen „Verstehen“, „Research“, „Ideation & Konzept“ sollten auf jeden Fall die Kunden, Benutzer und Mitarbeiter einbezogen werden – in „Konzept & Ideation“ zumindest die Projektteammitglieder. Das bildet die kollaborative und demokratische Basis. Wenn es aber um die Konzeption, die Prototypenerstellung und Realisierung geht, dann sollte natürlich ausschließlich ein Designer das Design machen, um die entsprechende Expertise mit einzubringen. Und je nach Produkt oder Dienstleistung sollten auch andere entsprechende Experten des jeweiligen Fachgebiets hinzugezogen werden, z.B. Organisationsentwickler, Sales-Profis etc.. Im „Prototyping“ werden dann natürlich wieder Teammitglieder und Kunden einbezogen, wie sollten sonst auch die Prototypen getestet werden?

Fazit

Design Thinking ist kollaborativ, demokratisch und innovativ. Es kommt einfach darauf an, diesen Prozess offen zu betreiben. Weiterhin muss der Gesamtprozess von Personen geführt werden muss, die eine Designausbildung abgeschlossen haben. Die komplexe Arbeitsweise lässt sich nicht in ein paar Tagen lernen. Aber auch hier plädiere ich für Offenheit, die ebenso Teil des Design Thinkings ist. Jeder kann und soll damit experimentieren. In jeder Domäne. Allerdings braucht es für wirklich innovative Ergebnisse die Unterstützung von Profis. Will man Design Thinking langfristig einsetzen und dies erlernen, dann kann man sich aber auch begleiten lassen, um nur zu bestimmten Zeitpunkten im Prozess Feedback zu bekommen. Das ist effektiver als eine kurze Weiterbildung.